Keine „Warnstreiks“ von Vertragsärzten

Das Bundessozialgericht hat klargestellt, dass „Warnstreiks“ von Vertragsärzten widerrechtlich sind. „Warnstreiks“ sind also kein zulässiges Mittel, um sich gegen die gesetzlichen Krankenkassen und/oder die Kassenärztlichen Vereinigungen zu wehren.

Das letzte Wort ist damit aber noch nicht gesprochen. Gegen die Entscheidung des Bundessozialgerichts wurde Verfassungsbeschwerde erhoben. Über diese ist noch nicht entschieden.

Was sagt das Bundessozialgericht?

Das Bundessozialgericht (BSG) hat das Streikverbot differenziert begründet und gleichzeitg klargestellt, dass ein Streikverbot nicht gleichbedeutend mit einem „Maulkorb“ ist.

Auch Vertragsärzte haben das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Vertragsärzte dürfen versuchen, Einfluss auf die Krankenkassen, die Kassenärztlichen Vereinigungen oder den Gesetzgeber zu nehmen. Insoweit besteht kein Unterschied zum „privaten“ Bürger.

Eine vorübergehende Praxisschließung kann deshalb gerechtfertigt sein; jedenfalls dann, wenn dies zur Teilnahme an einer Versammlung unumgänglich ist – so das BSG.

Ein unzulässiger Streik liegt aber vor, sobald der Adressat der Versammlung nicht die größere Öffentlichkeit ist; wenn also die Demonstration als solche gar nicht im Vordergrund steht. Besteht das Ziel lediglich darin, durch Beeinträchtigung der Versorgung der Versicherten Druck auf die Vertragspartner auszuüben, ist die Grenze zum unzulässigen Streik überschritten. Und dann ist die damit verbundene Praxisschließung widerrechtlich. Sie ist dann nur Mittel zum Zweck und nicht bloße Folge der Entscheidung, an einer Versammlung teilzunehmen.

Streikverbot auch für angestellte Ärzte?

Das BSG hat klargestellt, dass das Streikverbot auch für angestellte Ärzte gilt, die innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung an der Versorgung der Versicherten beteiligt sind.

Zwar dürfen angestellte Ärzte ebenso wie Krankenhausärzte streiken, wenn sie dadurch Druck auf ihren eigenen Arbeitgeber ausüben wollen. Aber das ist eben nur dann der Fall, wenn der Arbeitskampf sich auf tariflich/arbeitsvertraglich regelbare Ziele richtet. Streiken angestellte Ärzte, um eine Verbesserung bei der Honorierung vertragsärztlicher Leistungen zu erzielen, dann unterfallen auch sie dem Streikverbot.

Absage an den Sicherstellungsauftrag?

Die Antwort lautet: Nein.

Das BSG hat klargestellt, dass auch die zunehmende Möglichkeit des Abschlusses von Selektivverträgen (Hausarztverträge, Facharztverträge u.a.) den Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen nicht obsolet gemacht hat. Dieser Sicherstellungsauftrag sei zwar eingeschränkt, aber noch nicht aufgehoben.

Das Gericht hat allerdings nicht ausgeschlossen, dass dies in Zukunft anders zu bewerten sein könnte, wenn die überwiegende Zahl der Vertragsärzte an Selektivverträgen beteiligt sei. Zum jetzigen Zeitpunkt sei der Sicherstellungsauftrag aber immer noch bei den Kassenärztlichen Vereinigungen angesiedelt.

Hintergrund der Entscheidung

Dem BSG geht es – wie auch bei vielen anderen Entscheidungen erkennbar – um den Schutz des Systems der vertragsärztlichen Versorgung. Dieses Motiv zieht sich immer wieder durch die Rechtsprechung. Wesentlicher Zweck sei es, Störungen der Patientenversorgung zu verhindern.

Das BSG hat maßgeblich darauf abgestellt, dass das System des Vertragsarztrechts konterkariert werde, wenn sich Vertragsärzte dem Zweck (also der störungsfreien ärztlichen Versorgung der Versicherten) durch „Warnstreiks“ ganz oder auch nur teilweise entziehen könnten. Für Streitigkeiten um die Höhe der Vergütung seien allein die Schiedsämter zuständig. Deren Entscheidungen wiederum seien gerichtlich überprüfbar.

Auch die Finanzierbarkeit der vertragsärztlichen Versorgung ist immer wieder ein Leitmotiv des BSG. „Warnstreiks“ würden nicht nur unmittelbar die Versorgung der Versicherten stören, sondern eben auch die Gefahr von Kostensteigerungen mit sich bringen. „Warnstreiks“ seien nämlich durchaus ein effizientes Mittel, um die Interessen der Ärzte durchzusetzen. Immerhin also spricht das Gericht Vertragsärzten damit eine erhebliche Marktmacht zu.

Abschließend weist das BSG Vertragsärzte außerdem darauf hin, dass mit diesem Status auch zahlreiche Begünstigungen verbunden seien:

So sei der Zugang zum Kreis der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund der Bedarfsplanung gewährleistet und sichere insolvenzgeschützte sowie auskömmliche Einnahmen von öffentlich-rechtlichen Institutionen als Schuldner.

Vertragsärzte seien – anders als viele andere freiberuflich tätige Berufsgruppen – durch ihre öffentlich-rechtlichen Vergütungsansprüche gegen die Kassenärztlichen Vereinigungen davor geschützt, ihre erbrachten Leistungen nicht, nicht vollständig oder nicht in angemessener Zeit honoriert zu bekommen. Das gewährleiste ihnen ein hohes Maß an Planungssicherheit.

Durch die Bedarfsplanung seien sie auch weitestgehend vor Konkurrenz geschützt. Auch das unterscheide sie von anderen freiberuflich tätigen Berufsgruppen, bei denen es keine Niederlassungssperren gebe.

Nicht zuletzt seien Vertragsärzte durch das Kollektivvertragssystem davor geschützt, als einzelne und im Wettbewerb mit anderen Ärzten die Vertragsbedingungen mit marktstarken Krankenkassen aushandeln zu müssen.

Den Vertragsärzten werde seit Jahrzenten und bis heute ein Einkommen ermöglicht, das weit über dem Durchschnittseinkommen der pflichtversicherten Arbeitnehmer liege und auch bei einem Vergleich mit anderen Berufsgruppen mit akademischer Qualifikation eine Spitzenstellung gewähre. Den Vertragsärzten bleibe es deshalb versagt, einerseits aus den Vorteilen des Systems Nutzen zu ziehen, andererseits aber nach Marktgesetzen agieren zu wollen.

Mirja K. Trautmann
Rechtsanwältin & Fachanwältin für Medizinrecht

Fachbeitrag, erschienen im PädNetzS-Magazin Ausgabe 04-2017 | www.paednetzs.de